+49 30 533206 – 570

Projekte-Hotline: +49 3327 5658 – 28

info@digitalzentrum.berlin
Suche
Close this search box.

CDR im Mittelstand – Mit Wettbewerbsvorteil in die faire digitale Gesellschaft

Corporate Digital Responsibility (CDR) oder auch digitale Unternehmensverantwortung ist nicht nur ein neues Buzzword, sondern birgt handfeste Chancen für Unternehmen und Gesellschaft. Das Bewusstsein und die Relevanz rund um das Thema sind in den letzten drei Jahren stark gestiegen. Zurecht, denn: Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) selbst gibt es eine Vielzahl an Gründen, warum sie sich intensiver mit CDR auseinandersetzen sollten. Wie CDR im Mittelstand erfolgreich umgesetzt werden kann, erklärt Dr. Marie Blachetta von der Initiative D21.
CDR im Mittelstand

CDR – Was ist das eigentlich?

Eine abschließende Definition für CDR hat sich bislang noch nicht herauskristallisiert. Der Begriff findet sich gerade erst, und auch, was CDR in der Unternehmenspraxis heißt, wie sie gelebt und umgesetzt wird, befindet sich noch in einem Aushandlungsprozess. Da es sich um ein neues Konstrukt in einem dynamischen Umfeld handelt, wird dieser Prozess auch noch weiter andauern. Bislang zeigen sich verschiedene Entwicklungspfade in Bezug auf die existierenden CDR-Definitionen. Das Verständnis lässt sich anhand von drei Perspektiven (Wissenschaft, Wirtschaftsverband, Politik) aufzeigen:

Abb. 1: Definitionen von Corporate Digital Responsibility

Digitale Verantwortung liegt nicht ausschließlich bei Unternehmen. Sie haben aber durchaus eine besondere Stellung – sie sind die Innovationstreiber in der Digitalisierung.

Das klingt erst einmal abstrakt. Daher sollten wir die Scheinwerfer auf konkrete Beispiele richten, um ein besseres Verständnis von CDR zu erlangen und ihren Facettenreichtum zu zeigen:

  1. Produktentwicklung: Wie sollen Entwickler:innen das Bremssystem von autonom fahrenden Autos programmieren? Soll eher für die ältere Dame oder den Kinderwagen gebremst werden? Bei wem liegt die Entscheidung?
  2. Verbraucher:innenschutz: Wie werden Cookie-Banner gestaltet? Bezieht die Nutzer:innen-Freundlichkeit z. B. auch die ältere Generation mit ein, die durchschnittlich weniger digitale Kompetenzen besitzt?
  3. Arbeitsorganisation/New Work: Wann und wie viel ist man erreichbar? Abends auf dem Sofa noch schnell eine Mail abschicken? Inwieweit integrieren Unternehmen Themen wie „Digital Wellbeing“ in den Arbeitsalltag der Mitarbeitenden?

Produktentwicklung, Verbraucher:innenschutz und New Work – digitale Verantwortung spiegelt sich nicht nur in sehr heterogenen Anforderungen wider, sondern zeigt auch Nähe zu regulatorischen Grundlagen.

Wird das nicht alles über Gesetze geregelt?

Jein. Wie schon die Definitionen gezeigt haben, geht das Thema CDR über gesetzliche Regelungen hinaus, denn CDR ist in der grundsätzlichen Verantwortung des Unternehmertums angesiedelt. Aber natürlich gibt es trotzdem Regulationen, die im Kontext von CDR eine Rolle spielen. Ecosense hat 2020 eine hilfreiche Übersicht dazu erstellt. Der Dynamik des Feldes geschuldet gibt es seitdem aber bereits neue Entwicklungen. Allen voran ist an dieser Stelle zum einen der CDR-Kodex des Bundesministeriums der Justiz und Verbraucherschutz  (BMJV) sowie der neue IEEE 7000 Standard von Bedeutung.

Welche Gründe gibt es für CDR im Mittelstand?

KMU stellen nicht nur einen enorm großen Anteil der Unternehmen in Deutschland dar, sie sind auch wichtige Innovatoren. Die historische Entwicklung von CSR zeigt, dass inhaber:innen- oder familiengeführte Unternehmen Verantwortung hoch priorisieren – auch aus persönlichem Interesse. Neben der grundlegenden unternehmerischen Verantwortung, die ein Grund für die Auseinandersetzung mit CDR im Mittelstand sein sollte, und der Erfüllung von regulatorischen Vorgaben gibt es aber auch andere relevante Faktoren, wie z. B. Wettbewerbsvorteile. Zum einen im internationalen Kontext: Denn die europäische, wertegetriebene Perspektive (wie hier am Beispiel von künstlicher Intelligenz aufgezeigt) auf digitale Verantwortung kann im Vergleich zu kapitalistischen oder kommunistischen Wirtschaftskulturen einen Unterschied machen, z.B. im Hinblick auf Konsument:innen-Vertrauen und Akzeptanz.

Auf der anderen Seite können Wettbewerbsvorteile durch First-Mover-Effekte erzielt werden, die derzeit beim Thema CDR noch bestehen. Eine Folge von verantwortungsbewusstem Verhalten im digitalen Wandel ist für Unternehmen auch, dass nachhaltig Vertrauen bei der Kundschaft geschaffen wird – etwa wenn die Cookie-Banner eben nicht kompliziert aufgebaut sind und kein Gefühl von Täuschungsabsicht entsteht oder wenn die Berücksichtigung von Technologie-Auswirkungen nicht im eigenen Unternehmen aufhören, sondern auch auf Lieferanten übertragen wird, wie z. B. im Falle der Deutschen Telekom. Geschäftskund:innen fordern zum Teil schon eine aktive Auseinandersetzung mit digitaler Ethik bei KI-Anwendungen, wie etwa das Beispiel BMW zeigt, damit die Geschäftsbeziehung überhaupt zustande kommt bzw. weitergeführt wird.

Abb. 2: Gründe für eine Auseinandersetzung mit Corporate Digital Responsibility

Ein Blick auf die IT-Fachkräfte in Deutschland und Europa verdeutlicht: Es sind bereits jetzt zu wenige. Der „War of Talents“ wird daher eher größer werden; gleichzeitig steigt das Bedürfnis vieler Arbeitnehmenden, in Berufen mit „Sinnstiftung“ zu arbeiten, die Werteorientierung steigt, gerade in der jungen Generation. Verantwortungsvolle Digitalisierung kann daher auch eine Positionierung im Employer Branding bedeuten. Mitarbeitende zu haben, die sich souverän und mündig in der digitalen Welt bewegen, ist für alle Unternehmen ein Mehrwert. Schulungen zur digital(-ethischen) Kompetenzerweiterung bieten daher einen sinnvollen Weg, mehr Expertise in den Unternehmen aufzubauen. Ein weiterer Grund sind die Potenziale, die durch eine nachhaltige Digitalisierung entfaltet werden können, z. B. die ökologische Perspektive: Ressourceneinsparungen durch zirkuläres Wirtschaften, Datensparsamkeit etc. Für tiefergehende Informationen hierzu sind diese Plattformen zu empfehlen: CO:DINA, nachhaltig.digital oder CSR.digital.

Schließlich zählt auch: Vorbild zu sein für andere. Zusätzlich zu dem Blickwinkel „Warum ist es für KMU wichtig, sich mit CDR auseinanderzusetzen?“ gibt es natürlich auch den Blickwinkel „Warum ist es für die Gesellschaft wichtig, dass KMU sich mit CDR auseinandersetzen?“: Nur durch KMU kann der Gedanke der verantwortungsvollen, wertegetriebenen Digitalisierung in die Breite getragen werden. Es braucht daher die KMUs, um mehr gesellschaftliches Bewusstsein für digitale Souveränität und Mündigkeit zu etablieren – und somit einen Prozess anzustoßen, der zu einer digital-fairen Gesellschaft führt.

Wie können KMU anfangen sich mit CDR auseinanderzusetzen?

Betrachtet man die Unternehmen, die (öffentlich) zeigen, wie sie sich mit CDR auseinandersetzen, wird deutlich, wie unterschiedlich die Herangehensweisen sind. Teilweise wurden Ideen von einzelnen Mitarbeitenden implementiert, die bottom-up aus dem operativen Geschäft heraus entstanden sind (Beispiel: Digital Ethics Board bei Merck KGaA), teilweise wurde eine neue Strategie aufgesetzt (Beispiel: Barmer oder Weleda) oder einzelne Prozessschritte angepasst (Beispiel: Digital Competence Program bei adlon) oder gar Start-ups gegründet, bei denen CDR das Geschäftsmodell ist (Beispiel: tip me). Die Vielfalt zeigt: Es gibt (noch) keinen „One best Way“. Die Unterschiedlichkeit der Organisationen sowie die Neuigkeit und Dynamik des Themas erlauben noch keine Standardisierung. Erste Faktoren, die sich aber als wichtig herauskristallisiert haben, sind:

1. Sicherstellung der Unterstützung aus dem C-Level, also der obersten Führungsebene

2. Feste Verankerung von CDR-Verantwortlichkeit (in welcher Abteilung hängt allerdings von der Ausgestaltung ab)

3. Abteilungsübergreifend denken: Digitalisierung als Querschnittsthema kann nicht in einem Silo vollzogen werden

4. CDR in einfach Sprache übersetzen: die Begrifflichkeiten (Ethik, Verantwortung usw.) sind oftmals abstrakt – was genau heißt das für die einzelnen Mitarbeitenden?

5. Es ehrlich meinen. „Purpose Washing“, also das Kommunizieren von Engagement ohne tatsächliches konsequentes Handeln, wird zu keinem nachhaltigen Erfolg kommen. Vertrauen wird leicht verspielt.

Die Empfehlung ist daher: Es muss nicht als erstes eine große, neue CDR-Strategie sein. Stattdessen sollte man sich aktiv umschauen: Welche Baustelle oder Ideen gibt es gerade sowieso schon? Wo lässt sich leicht ein erster Schritt gehen? Und auch: Wo übernimmt die Organisation schon digitale Verantwortung?

Für den ersten Einstieg gibt es mittlerweile einige gute Wegweiser: Neben den 15 Handlungsfeldern der CDR von Dr. Saskia Dörr und dem CDR-Kodex des BMJV sind hier insbesondere die CDR-Building Bloxx zu nennen, die vom Bundesverband Digitale Wirtschaft e. V. federführend in gemeinsamer Arbeit mit CDR-Pionier:innen entwickelt wurden und eine hohe Praxisorientierung aufweisen. Im Online-Magazin „Corporate Digital Responsibility“ werden Praxisbeispiele vorgestellt; es kommen aber auch vielfältige Stimmen, z. B. Wissenschaftler:innen und Politiker:innen, zu Wort. Des Weiteren gibt es eine Broschüre des BMJV, die aufzeigt, wie sich Sustainable Development Goals (SDGs) und CDR-Aktivitäten miteinander verbinden lassen: Der Zusammenhang zwischen Digitalisierung und Nachhaltigkeit ist einer der Punkte, in denen große Potenziale der CDR stecken.

Diese Ansatzpunkte können insbesondere auch für KMU, in denen oftmals begrenzte Ressourcen zur Verfügung stehen, hilfreich sein. Für die einzelnen CDR-Themen gibt es dazu unterschiedliche, konkrete Umsetzungshilfen. Beim Thema Datenschutz, das zum Teil sehr spezifische Kenntnisse erfordert, gibt es z. B. das Self-Data-Governance-Framework vom iRights.lab, das unter CC-BY-Lizenz kostenlos zur Verfügung steht. Ebenso frei zugänglich ist der Data Process Modeller von Bayern Innovativ, der auf Open-Source-Basis dabei hilft, Datenprozesse transparent darzustellen. Ein zweites Beispiel ist das Themenfeld Mitarbeitendenkompetenzen. Hier kann auf die kostenlosen Onlinekurse der Uni Helsinki „Elements of AI“ und „AI Ethics“ zurückgegriffen werden, die in vielen Sprachen verfügbar sind.

Fazit: Ist CDR wichtig für den Mittelstand?

CDR nicht als Purpose Washing oder Buzzword abzutun, ist für alle Unternehmen wichtig – egal welcher Größe oder Branche. Digitalisierung wird zukünftig in den allermeisten Geschäftsmodellen eine Rolle spielen. Eine Ansiedlung von CDR im Marketing ist daher nicht zielführend; eine strukturierte Auseinandersetzung und Verankerung in der Unternehmensstrategie müssen her. „Made in Germany“ hat insbesondere für KMU eine herausragende Rolle in den vergangenen Jahrzenten gespielt. Das kann sich auch auf CDR übertragen und als große Chance mit Zukunftsaussichten für KMU angesehen werden. CDR ist wichtig und zeigt, dass Organisationen sich fortlaufend mit den Herausforderungen der digitalen Zukunft auseinandersetzen (das ist kein abgeschlossener Prozess!), und das nicht nur, um sich im Wettbewerb zu positionieren oder ihr Überleben zu sichern, sondern um sich verantwortungsvoll in einer digitalisierten Welt zu bewegen. Denn gleichzeitig zeigt sich auch: KMU können hier einen echten Beitrag für eine faire digitale Gesellschaft leisten. Eine Win-win-Situation – auf geht’s!

Text: Dr. Marie Blachetta
Redaktion: Marc Dönges

Die Autorin

Marie Blachetta

Dr. Marie Blachetta ist Referentin für digitale Unternehmensverantwortung bei der Initiative D21, dem größten gemeinnützigen Netzwerk für die digitale Gesellschaft in Deutschland. Sie ist Redaktionsleiterin des Online-Magazins „Corporate Digital Responsibility“ sowie Projektleiterin der „Digital Future Challenge 2021“.

Suchen
Nichts mehr verpassen:
Unser Newsletter

    Mehr zum Thema